Geigenbau: Wie eine Geige entsteht - Eine Einführung für Anfänger

Eine Geige zu bauen ist ein kunsthandwerklich höchst komplexer Prozeß, der sehr viel Erfahrung, Liebe zum Detail, Geduld und präzises Arbeiten erfordert. Der Geigenbauer ist nicht nur Handwerker sondern vielmehr auch Künstler und Musiker, bzw. musikalisch enpfindender Kunsthandwerker. Er muß das Instrument nicht spielen können, er sollte aber ein Gehör besitzen, um die Qualitäten von Geigen akustisch einzuordnen.

Der fachmännische Bau einer Geige kann 200 Stunden dauern. Multipliziert man diese Zahl mit dem üblichen Stundenlohn, so wird man auf eine recht hoch scheinende Summe kommen. Eine Meistergeige hebt sich allerdings von der "Unter 1000 DM Massenware" ab, da sie ausgewogener klingt und aus hochwertigeren Hölzern zusammengesetzt ist. Außerdem ist sie dauerhafter, da man davon ausgehen kann, daß das Holz nicht mehr arbeitet. Bei Massenware wird oft preiswertes Holz verwendet, das oft noch nicht die erforderliche Zeit gelagert hat.

Zum Geigenbau werden eine Reihe von Bildhauerwerkzeugen und Spezialwerkzeugen benötigt. Außerdem ist es unerläßlich, sich eigene Werkzeuge selbst herzustellen, da diese nicht im Handel erworben werden können (z.B. die Innen- oder Außenformen mit deren Hilfe der Zargenkranz entsteht).

Die Qualität der Geige steht und fällt mit der Wahl der geeigneten Holzqualität. Holz für Saiteninstrumente wird schon beim Fällen der Bäume auf seine Klangtauglichkeit überprüft. Für die Geige kommen maximal 4 Holzsorten in Frage:
Fichte oder Tanne für die Decke (das ist die Holzplatte, in denen die f-förmigen Schallöcher, die sog. "f-Löcher" eingeschnitten sind)
Ahorn für den Boden (die Rückseite der Geige)
Weide, Linde (oder auch Fichte) für die "Reifchen" und "Klötze", d.h. die versteifende Innenausstattung der Geige
Ebenholz oder Palisander für das Griffbrett, die Wirbel, den Ober- und Untersattel, den Saitenhalter und den Knopf, evtl. auch für die Ader.

Die weichen Hölzer (Fichte, Tanne, Linde, Weide) sollten nach dem Schlagen mindestens 5 Jahre lagern, bevor sie zum Geigenbau verwendet werden können. Die harten Holzarten (Ahorn, Ebenholz, Palisander) sollten 10 Jahre ruhen. Die Holzlagerung muß so geschehen, daß nicht unkontrollierte Rißbildung im Holz auftritt. Dazu werden die Hirnholzflächen der Hölzer mit Leim oder Wachs getränkt und mit starkem Papier beklebt. Jedes Stück Holz sollte außerdem luftig lagern, damit der Schimmelpilz nicht nisten kann.

Das Holz für Decke und Boden wird normalerweise gesägt. Die besten Geigen besitzen Decken aus gespaltenem Nadelholz, da dieses im Gegensatz zum gesägten Holz noch mehr Festigkeit und Tontragfähigkeit besitzt als das gesägte Nadelholz (sofern gesägtes Holz nicht exakt in Wuchsrichtung gesägt wurde). Ein Stück Baumstamm von der Länge von ca. 50 cm wird dazu in "Tortenstücke" von oben nach unten geteilt. Zwei solcher Tortenwinkel werden an den runden Außenflächen plangehobelt und aneinandergeleimt (möglichst traditionell mit Knochenleim, nicht mit Kunstharzleim). Dadurch entsteht ein "Dach". Auf dieses wird die Umrißform der Geige übertragen und dieser Umriß ausgesägt. Mit Stechbeiteln und Wölbungshobeln wird nun die Außenwölbung hergestellt. Die Feinarbeit erfolgt mit sog. "Ziehklingen", das sind kratzende Stahlbleche. Ziehklingen können wesentlich besser Holzoberflächen glätten als Schmirgelpapier, was im Geigenbau verpönt ist.
Nun werden die Einlagen (Adern) eingefügt. In einigen Millimetern vom Rand müssen stabilisierende Holzstreifchen eingeleimt werden. Auch dazu gibt es Spezialwerkzeug.
Sind Außenwölbung und Adern nahezu fertig, wird mit dem Ausstechen der Innenseite von Decke und Boden begonnen. Dazu wird die gewölbte Außenseite von Decke oder Boden in eine ebenso - aber negativ - gewölbte "Schüssel" gespannt und die Innenseite der Platte mit Hohlbeiteln ausgeformt. In der Regel soll die Holzdicke in der Mitte zwischen den f-Löchern am größten sein. Die Holzstärkeverteilung wird mit einem Spezialwerkzeug - dem sog. Stärkezirkel - gemessen und mit Beiteln, Wölbungshobeln und Ziehklingen gestaltet. In die Decke werd nun noch längliche Schlitze in Form eines "f" gesägt. Die Feinarbeit der f-Formung erfolgt mit dem Schnitzmesser. Die nach innen zeigenden Kerben dieser "f-Löcher" zeigen auf den Punkt, an dem später der Steg zu stehen kommen wird.

Ein weiteres Spezialwerkzeug muß sich der Geigenbauer selbst herstellen: Die Zargenform. Entweder eine Innenform (italienisch) oder eine Außenform (französisch). Eine Innenform dient dazu, den Zargenkranz um sie herum zu bauen. In der Außenform werden die Zargen innerhalb der Form gebaut. Beide Methoden haben ihre Vor- und Nachteile. Die traditionelle Zargenform der Cremoneser Schule ist die Innenform.
Die 6 Zargenstreifen werden mit Hilfe eines sogenannten Biegeeisens heiß in die richtige Form gebracht. Dann werden sie an oder in die Zargenform gebracht. Die Zargenstreifen werden mit den Ecklötzen und dem Ober- und dem Unterklotz, Fichtenholzstückchen, die genau an die Zargenverbindungen angepaßt werden müssen, verleimt. Ober- und Unterseite der Zargen bekommen noch schmale Holzstreifchen aus Weidenholz, die ebenso gebogen werden müssen, angeleimt. Die Ober- und Unterseiten werden nun noch gehobelt und sind fertig.

Nun wird der Zargenkranz auf den Boden geleimt. Die Decke muß nun mit dem sogenannten "Baßbalken" versehen werden. Dies ist eine schmale Leiste aus Fichten- oder Tannenholz, die exakt in die Innenwölbung der Decke eingepaßt werden muß. Dies ist eine sehr kritische Arbeit, die die ganze Erfahrung des Geigenbauers erfordert. Übrigens ist der Baßbalken ein "Verschleißteil" der Geige. Nach Materialermüdung muß er von Zeit zu Zeit (mehrere Jahrzehnte) ausgewechselt werden. Nach Einpassen und Einleimen des Baßbalkens wird er auf Form gebracht. In der Mitte bei den f-Löchern ist er am dicksten, an den Enden läuft er flach aus. Die Frage, ob er stark oder eher schwach gehalten werden sollte ist auch wieder eine Frage der Fertigkeit des Geigenbauers. Ist der Baßbalken aus feinjährigem, eher festem Holz oder aus grobjährigem, eher weichem Holz? Ist die Decke eher dünn oder massiver gehalten. Hier ist die Erfahrung eine unschätzbare Hilfe.

Nun kann die Decke auf die Zargenkranz-Bodeneinheit geleimt werden. Hierzu wird typischerweise dünner Leim verwendet, damit die Geige später auch wieder geöffnet werden kann. Der ganze Korpus wird verputzt, d.h. mit Ziehklingen unterschiedlicher Form "poliert". Vor allem muß nun, wenn noch nicht geschehen, letzte Arbeit an der "Hohlkehle" verrichtet werden. Das ist eine rundumlaufende Vertiefung gemessen an den Rändern von Boden und Decke. Von dieser Vertiefung ausgehend beginnt die Wölbung der Platten. Platten ist die Fachbezeichnung für Boden und Decke.

In alten Zeiten war die Herausarbeitung des Halses aus einem massiven Stück Ahornholz eine langwierige Arbeit. Hinzu kam noch das Ausstechen des Wirbelkastens und vor allem die Formung der "Schnecke". Gerade in der Formgebung der Schnecke konnte man unterschiedliche Meister identifizieren. Und so ist es nicht verwunderlich, daß verantwortungsvolle Restauratoren in den vergangenen Jahrhunderten beim Austausch des Halses aus Originalinstrumenten stets den Wirbelkasten nebst Schnecke vom Originalhalz nahmen und ihn in den neuen Hals einarbeiteten. Die Schnecke ist quasi ein Stück Persönlichkeit des Geigenbauers und sollte bei Restaurierungsarbeiten nicht verloren gehen.
Doch warum mußte der Originalhals bei alten Instrumenten entfernt werden? Nun, die schwingende Saitenlänge der Geige hat sich im 19. Jahrhundert geringfügig vergrößert (bzw. es wurde so beschlossen) und der Kammerton "a" wurde um einige Hertz erhöht. Das machte diesen massiven Eingriff nötig. Außerdem wurde der Halsansatz der Geige derart verändert, daß ein Spielen in höheren Lagen einfacher wurde. Es gibt nur noch sehr wenige Instrumente aus der goldenen Cremoneser Epoche, die wirklich noch ihren alten Hals mit dem etwas plumpen Halsansatz haben.
Heute wird der Hals inklusive Wirbelkasten und Schnecke mit wenig Aufwand und sehr preiswert industriell CNC-gefräst. Man kann sogar wählen, ob man lieber das Modell Stradivari oder das Modell Guarneri haben möchte. Was man noch machen muß, ist das Bohren und Ausdrehen der Wirbellöcher. Die konische Form der Wirbellöcher kann man nur mit einem Spezialwerkzeug erreichen. Danach müssen die 4 Wirbel eingepaßt werden.

Eine überaus kritische Arbeit ist das Ausstechen der Trapezöffnung in den Korpus, um die Aufnahme des Halses zu ermöglichen. Das Einpassen des Halsfußes in diese Korpusöffnung geschieht mithilfe von Schablonen. Auch hier muß der Geigenbauer wieder seine Erfahrung und sein Fingerspitzengefühl einsetzen. Nun kann die "weiße Geige", so heißt ein noch unlackiertes Instrument, zum ersten Mal mit Saiten bezogen werden. Dazu müssen natürlich noch einige Arbeiten gemacht werden: Anpassen des Steges an die Wölbung der Decke, Wählen der Höhe des Steges, Anbringen des Knopfes zur Befestigung des Saitenhalters über eine spezielle Kordel, vorläufiges Anheften des Griffbrettes an den Hals, Anleimen des Obersattels, Einpassen des Stimmstockes zwischen Decke und Boden.

Nach Abnehmen des Griffbrettes kann der ganze Korpus grundiert und lackiert werden. Auf diesem Gebiet wurde in den letzten Jahrhunderten besonders intensiv geforscht. Welchen Lack verwendeten die alten Cremoneser? Jeder zieht daraus so seine eigenen Schlüsse. Der uninteressierte unter den Geigenbauern kauft sich seinen Lack fertig bei einem Lieferanten. Der Interessierte betreibt mit viel Aufwand und Herzblut seine private Hexenküche mit diversen Lösungsmitteln und Naturharzen.

Am Ende ist das Instrument optisch fertig. Nun kommt noch die langwierige Phase des Justierens. Der Stimmstock wird Millimeter für Millimeter verschoben und der Klang geprüft. Unterschiedliche Stegdicken werden getestet usw. Ganz am Ende erhält der Kunde ein Instrument, das sicherlich nicht billig ist. Dafür ist es aber ein Individuum, einzig auf der Welt und unverwechselbar.
 
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